Berlin, 11.01.2023
Vor kurzem haben Deutsche Sicherheitsbehörden einen rechtsextremen Anschlag gegen die Bundesregierung und den Bundestag enttarnen und verhindern können. Wie groß ist die Gefahr, die von Rechtsextremist:innen in Deutschland ausgeht und was muss politisch passieren um die Demokratie hierzulande zu schützen?
Am Mittwoch, den 7. Dezember 2022, fand in elf der 16 Bundesländer Deutschlands sowie in Österreich und Italien der bisher größte Antiterror-Einsatz der Geschichte der Bundesrepublik statt. Rund 3.000 Beamt:innen waren bei den Razzien im Reichsbürger-Milieu im Einsatz. Insgesamt wurden 162 Objekte durchsucht. Am Ende des Tages befanden sich 25 Beschuldigte in Haft.
Geplant hatten sie einen Staatsstreich, der im Parlament, dem Deutschen Bundestag, beginnen sollte. Hier sollte eine kleine bewaffnete Gruppe gewaltsam eindringen, Abgeordnete und Regierungsmitglieder in Handschellen abführen sowie durch Anschläge auf die bundesweite Stromversorgung bürgerkriegsähnliche Zustände herbeiführen.
Fast zwei Jahre nach dem 6. Januar 2021, dem Sturm auf das US-Kapitol, stoppen die deutschen Sicherheitsbehörden also eine Gruppierung, die sich als Ziel ebenfalls den Kern der Demokratie, das Parlament, vornehmen wollte. Deutlicher kann die Vernetzung der globalen Rechten kaum werden.
Wer steht hinter dem Reichsbürger-Netzwerk?
Die Parteivorsitzende der seit Frühjahr dieses Jahres bundesweit als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuften Partei Alternative für Deutschland (AfD) bezeichnete die weitreichenden Verschwörungspläne indes leichthin als „Rollator-Putsch“, von dem keine Gefahr ausgehe. Die Partei [AfD] versucht sich seit letzter Woche fadenscheinig von dem Sumpf aus Verschwörungsideologie und Anschlagsplänen zu distanzieren, den der Generalbundesanwalt und die Sicherheitsbehörden am letzten Mittwoch aufmischten. Denn unter den Hauptverdächtigen befindet sich auch eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete, die gegen den Widerstand der Berliner Senatsverwaltung kürzlich wieder ihren Dienst als Richterin aufgenommen hatte. In Untersuchungshaft befinden sich zudem mehrere, größtenteils ehemalige Mitglieder der Bundeswehr, unter ihnen auch Spezialkräfte, sowie ein waschechter Prinz. Die Beschuldigten sind darüber hinaus Anwält:innen, Ärzt:innen und Opernsänger:ommem. Also allesamt Menschen, denen es nicht an Status und Privilegien mangelt.
Die deutsche Medienlandschaft schreibt und spricht deshalb gerne von Putschist:innen aus der „Mitte der Gesellschaft“. Doch diese Wortwahl ist gefährlich: Sie suggeriert, dass extrem rechtes Gedankengut nur an den so genannten Rändern der Gesellschaft zu finden wäre – bei den scheinbar Ungebildeten und Abgehängten. Dass Rechtsextremismus ein Ausnahmefall sei, der zwar unschön und peinlich ist, der den Großteil der Menschen in diesem Land aber nicht wirklich etwas angeht. Diese Einschätzung hat mir der Realität wenig zu tun.
Das rechtskonservative Projekt ist im Gegenteil schon lange kein politisches Projekt eines rechten Randes, wenn es denn überhaupt jemals so war. Statt pöbelnder Neonazis in wenig beachteten Kleinstädten der ehemaligen DDR wissen die so genannte Neue Rechte und Vertreter:innen des radikalisierten Konservatismus (wie die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl es treffend bezeichnet) sich geschickt in unserer medial geprägten Demokratie zu vermarkten und verschieben den Diskurs stetig in Richtung Rechts. In den letzten Monaten ist diese Strategie auch bei Friedrich Merz, dem Parteivorsitzenden der Union, immer stärker zu beobachten.
Wie viel Rückhalt haben rechtextreme Positionen in der deutschen Gesellschaft?
Sowohl die Leipziger Autoritarismus-Studie 2022 (die unter anderem von der Heinrich Böll Stiftung finanziert wird) als auch die Mitte-Studien der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung verzeichnen den Rückgang eines geschlossen rechtsextremen Weltbildes in der Bevölkerung. Gleichzeitig nimmt aber auch ein klares Nein zu rechter Positionen ab; in Umfragen wurden vermehrt „Teil-Teils“-Antworten gegeben. Fremdenfeindliche Narrative finden erschreckend hohe Zustimmung.
Dass über die Hälfte der Bevölkerung die Gesellschaft als in gefährlichem Maße überfremdet ansieht, ist ein akutes Warnzeichen. Darüber hinaus steigen auch die Zustimmungswerte zu antisemitischen, muslimfeindlichen und antifeministischen Aussagen. Gepaart mit einer weitverbreiteten Unzufriedenheit über die demokratische Alltagspraxis, einer gesellschaftlichen Polarisierung durch die Corona-Pandemie und fragmentierte Ansichten zum Angriffskrieg auf die Ukraine, lässt sich in Teilen der deutschen Gesellschaft ein gefährliches Potpourri autoritärer und anti-demokratischer Anknüpfungspunkte feststellen.
Dieses Mobilisierungspotential für rechtsextreme Parteien und Gruppierungen zeigt sich bei Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen genauso wie bei den aktuell wieder regelmäßig stattfindenden Montagsdemonstrationen. In einigen ostdeutschen Bundesländern wurden hier zeitweise über 20.000 Teilnehmer:innen auf dutzenden Kundgebungen gezählt. Akteur:innen der extrem rechten Szene, unter anderem die AfD, versuchen dort aktiv und leider erfolgreich, Existenzängste und die komplexen Konfliktlagen für ihre eigenen Ziele zu nutzen. Der Rechtsextremismus-Forscher Matthias Quent mahnte bereits an, dass sich hier eine neue „faschistische Bewegung“ auf der Straße formieren könne, denn die Neue Rechte versuche gezielt, an einen bürgerlichen Protest anzudocken.
Reichsbürgertum und QAnon – Verschwörungsideologie als verbindendes Element
Radikale rechte Positionen waren und sind in einem signifikanten Teil der deutschen Gesellschaft anschlussfähig. Durch das Vermischen verschiedener Ideologiefragmente und Verschwörungserzählungen entstehen immer neue gefährliche Anknüpfungspunkte.
Die durch die Razzien aufgeflogene Gruppe griff beispielsweise auf zwei Versatzstücke zurück: So wurden zum einen klassische Ideologie-Elemente der Reichsbürgerszene genutzt, laut derer die Bundesrepublik Deutschland sich weiterhin wie nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Besatzung der Alliierten befände und entsprechend ein illegitimer Staat sei. Dies verknüpften die nun Beschuldigten eifrig mit Fragmenten der QAnon-Verschwörungsideologie, laut der ein angeblicher „Tiefer Staat“ (eng. „Deep State“) die Welt beherrsche, den es zu enttarnen und bekämpfen gelte. In diesem Zusammenhang wurden geradezu willkürlich aktuelle Ereignisse als Vorboten des ‚Befreiungskampfes‘ gedeutet – der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der Tod der britischen Königin, Naturereignisse.
Obwohl QAnon als Bewegung kaum bekannt ist, stimmt laut im März 2022 erschienenen Studie des Center for Monitoring, Analysis and Strategy (CeMAS) mehr als jede:r Zehnte in Deutschland QAnon-Verschwörungserzählungen zu. Radikalisierung findet vor allem online, via Telegram und Youtube, statt. Auch dies zeigt, wie wenig überraschend es ist, dass rechtsextreme Täter:innen aus der „Mitte der Gesellschaft“ kommen. Der Kampf gegen extrem rechtes Gedankengut findet in allen Gesellschaftsschichten und Altersgruppen statt.
Was muss politisch passieren – drei Handlungsschritte
Was muss nun also passieren?
- Analysefähigkeit der Sicherheitsbehörden weiter verbessern
Die Razzien zeigen, dass die deutschen Sicherheitsbehörden aus den gravierenden Versäumnissen der letzten Jahre und Jahrzehnte gelernt haben. Obwohl hier weiterhin ein langer Weg zu gehen ist, waren Verfassungsschutz und Polizei hier nicht – wie so oft – auf dem rechten Auge blind.
Laut Verfassungsschutzbericht gibt es in Deutschland 23.000 Reichsbürger:innen; davon sind 2.100 gewaltbereit. Die Anzahl der Straf- und Gewalttaten ist zuletzt weiter angestiegen. Dass nur ein geringer Prozentteil der Reichsbürger:innen trotz verfassungsfeindlicher und rechtsextremer Bestrebungen, als rechtsextrem eingestuft wurde, hat die grüne Bundestagsfraktion immer wieder kritisiert. Die Tötung eines Polizisten im Jahr 2016 hat insgesamt zu einem Umdenken bei der Bewertung der Reichsbürger-Szene geführt, doch noch immer werden sie zu häufig als ‚Spinner‘ verharmlost – auch in der aktuellen Berichterstattung rund um die Razzien. Um der Realität gerecht zu werden, muss rechte Ideologie auch in nicht klassisch rechtsextremen verfassungsfeindlichen Milieus klar erkannt und benannt werden.
- Präventionsarbeit und die Demokratie fördern
Demokratie ist kein Selbstläufer und steht von vielen Seiten unter Druck. Wir müssen uns aktiv für sie einsetzen und sie stärken. Deshalb wurde in Deutschland nach vielen Jahren der Debatte nun endlich ein Demokratiefördergesetz verabschiedet, das das zivilgesellschaftliche Engagement für die Demokratie stärken und gerade die finanziellen Grundlagen verbessern soll. Ein entscheidender Aspekt ist hierbei, dass politische Bildung und Projekte beispielsweise im Kampf gegen Verschwörungsideologien auch für Erwachsene geöffnet werden. Denn der aktuelle Putschversuch beweist einmal mehr, dass Radikalisierung auch und vielleicht sogar besonders bei Menschen im Alter von 50+ passieren kann.
- Konsequente Verfolgung von Straftaten
Der aktuelle Fall des Reichsbürger-Komplotts hat wieder gezeigt: Es besteht ein erhebliches Gewaltpotenzial innerhalb der rechten Szene. Die Beschuldigten hatten in ihrer Organisationsstruktur explizit einen militärischen Arm eingesetzt, der Schießtrainings durchführte. Es wurden insgesamt 93 Waffen sowie diverses militärisches Equipment wie Messer, Elektroschocker, Gefechtshelme und Nachtsichtgeräte gefunden. Involviert war zudem ein Waffenhändler, bei dem knapp 200 weitere Schusswaffen gezählt wurden. Dem militärischen Arm gehörten ehemalige, teilweise ranghohe Soldaten an.
Es ist deshalb dringend geboten, die bereits zu Beginn der Legislaturperiode vereinbarte Entwaffnung von Verfassungsfeinden voranzutreiben. Rechtsextreme Beamt:innen sollen darüber hinaus, schneller aus dem Dienst entfernt werden können. Angesichts zahlreicher rechter Chatgruppen, die in Deutschland bei der Polizei und im Militär in den letzten Jahren aufgeflogen sind, ist dies nicht erst seit letzter Woche dringend notwendig. Allgemein müssen Hass und Hetze im Netz strafrechtlich verfolgt und die Plattformen mit in die Verantwortung genommen werden.
Und wir müssen anerkennen, dass sehr viele Verschwörungserzählungen eine Erklärung für tatsächlich erfahrene Ungerechtigkeit anbieten: Auch eine auf Ausgleich bedachte Sozialpolitik und der Kampf gegen Ungleichheit sind dementsprechend Teil im Kampf gegen die Gefahren von Rechts.
Die Gefahr die von gewaltsamen antidemokraitischen Kräften ausgeht darf niemals unterschätzt werden, egal wie lächerlich sie erscheinen mögen
Die Gefahr, die von einer Gruppierung oder ihrer Akteur:innen ausgeht, bemisst sich nicht daran, wie realistisch ihre Visionen und Pläne sind. Der rechtsextreme Attentäter Anders Breivik schrieb auf 1.516 Seiten ein verstörendes Manifest voller Menschenverachtung, in dem es zum Beispiel darum geht, den Orden der Tempelritter wiederzugründen. Das könnte man zweifelsohne als wirr bezeichnen, hätte Breivik nicht am 22. Juli 2011 77 Menschen in Oslo und auf der norwegischen Insel Utøya ermordet.
Ein noch so wenig erfolgsversprechender Putschversuch überzeugter Verschwörungsgläubigen mit scharfen Waffen und Kampferfahrung ist eine Gefahr für Menschenleben. Dass ein sturmähnlicher Angriff auf Demokratie, Parlament und alle, die dort tätig sind, schnell Realität sein kann, zeigt der Sturm aufs US-Kapitol vom 6. Januar 2021.
Auch hier hatte ein 75-Jähriger maßgeblich Anteil an der Mobilisierung rechter Gewalt. Der Bundestag hat Glück gehabt, dass wachsame Sicherheitsbehörden einen Angriff verhindert konnten. Es wird wohl nicht das letzte Mal gewesen sein.
Englische Version bei der HBS: https://us.boell.org/en/2022/12/19/danger-right-wing-violence-germany